02 / 2001
  Christian Kladiva, steirischer Regionalsekretär der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA)

KORSO: Der Kollektivvertrag (KV) für die IT-Branche wird als Durchbruch gewertet. Welche (positiven) Veränderungen erwarten Sie dadurch für die Arbeitssituation der
Beschäftigten in der IT-Branche in der Steiermark?
Kladiva: Die Informations- und Telekommunikationswirtschaft ist heute zum wichtigsten
Wachstumssektor auch der österreichischen Volkswirtschaft geworden.Netzbetreiber, Hard- und Softwarelieferanten, Produzenten von Inhalten, elektronische Diensteanbieter und Sendeanstalten erwirtschaften heute jährlich weit mehr als  ATS 100 Mrd. und tragen damit mehr als 4% des BIP.

KORSO: Was bringt der neue KV für die Arbeitssituation der ArbeitnehmerInnen?
Kladiva: Die "Überzahlung" wird um 15 bis 20 % bzw. um ca. zehn Prozentpunkte reduziert. Damit kommen die Mindestgehälter näher an die betriebliche Realität. Gehaltserhöhungen im Laufe der Berufskarriere werden vorgezogen und die  Seniorität zurückgedrängt. 
Weitere Vorteile: 

  • Arbeitszeitverkürzung von 40 auf 38,5 Stunden. Die Normalarbeitszeit beträgt künftig 38,5 Stunden, die maximal in 5 Arbeitstagen (im Gewerbe-KV sind auch 6  Tage möglich) zu erbringen sind. Es besteht auch die Möglichkeit der 4-Tagewoche bei einer Normalarbeitszeit von zehn Stunden. 
  • Bei einem flexiblen Gleitzeitmodell beträgt der Überstundenzuschlag einheitlich 65 %. Die Auszahlung der Überstunden kann vom Dienstnehmer verlangt werden, sobald 154 Stunden auf dem persönlichen Konto sind. Davor kann der Dienstgeber  Zeitausgleich anordnen. Übernahme von Regelungen des Arbeitszeitgesetzes (AZG) in den KV. 
  • Der Überstundenteiler wird auf 143 reduziert (im Gewerbe-KV beträgt er 150 und im  Telekom-KV 173)


KORSO: Was bringt die Zurückdrängung der Seniorität im Konkreten?
Kladiva: Das ist positiv  vor allem im Hinblick auf  die Entwertung von Wissen. Der Erfahrungszuwachs wird innerhalb der Tätigkeitsfamilie/Verwendungsgruppe eine kürzere Zeit  honoriert und zwar in wenigeren, aber kräftigeren und vor allem zeitlich vorgezogenen  Sprüngen. Das entspricht auch insoferne viel mehr der Realität, als sich zwar einige Jahre Erfahrung produktivitätserhöhend auswirken, aber dieser Effekt nach einigen Jahren nicht mehr gegeben ist.
Da  der  Arbeitskräftemangel nicht ewig andauern wird, ist die Neugestaltung des Lebenseinkommensverlaufes  und die Verkürzung der Nomalarbeitszeit vor allem ein zukunftsweisender  Schritt,  der seine positiven Wirkungen erst im Lauf der Zeit voll entfalten wird.

KORSO: Allerorten gibt es relativ hohe Annahmen bezüglich des IT-Fachkräftemangels. Wie schätzen Sie die Situation für die kommenden Jahren in der Steiermark ein? Sind ausländische Fachkräfte ein Lösung?
Kladiva: Als  temporare Notlösung um den akuten Bedarf an IT-SpezialistInnen abzudecken, kann ich mir eine grundsätzliche Aufstockung der Zuwanderungsquote für Schlüsselarbeitskräfte vorstellen. Diese Kontingentserhöhung muss mit einigen Bedingungen  verknüpft  werden.  Bevor man über mögliche Kontingente diskutiert, muss  erst einmal der tatsächliche Bedarf an IT-SpezialistInnen seriös ermittelt werden;  die Schätzungen gehen dabei abenteuerlich weit auseinander. Weiters ist eine  Aus-  und Weiterbildungsoffensive erforderlich, die auch die Wirtschaft in die Pflicht nimmt.
Hier  könnte  ich  mir  einen  Ausbildungsverbund für IT und Telekom vorstellen. Lebenslanges  Lernen  darf  kein  leeres  Schlagwort bleiben, sondern muss durch konkrete  Initiativen  der  Unternehmen ermöglicht und gefördert werden. Die IT-Branche wird sich von der Vorstellung  verabschieden  müssen, sie könne auf bequeme  und kostengünstige Weise den Arbeitskräftebedarf abdecken. Es geht auch darum, die angebotenen Jobs attraktiver zu  gestalten, insbesondere für Frauen.
Das  propagierte  Bild  des selbstausbeuterisch und rund um die Uhr flexiblen IT-Beschäftigten  hält  viele  von  einer Beschäftigung im IT Bereich fern. Mit dem jüngst abgeschlossenen EDV Kollektivvertrag ist ein sinnvoller Rahmen geschaffen worden,  der  auch  die  Bedürfnisse  der  Beschäftigten  berücksichtigt und nun entsprechend  genützt  werden  muss.  Für  verantwortungslos halte ich es, einfach mit Lockangeboten die Arbeitsmärkte in Osteuropa leer zu  fegen  und sich damit eine Ausbildungsinvestition zu ersparen. Erforderlich ist vielmehr die  Entwicklung einer gemeinsamen arbeitsmarktpolitischen Strategie, die raschest mit unseren Nachbarländern vereinbart gehört. 

KORSO: Wie sieht es im Bereich der Lehrlingsausbildung aus? 
Kladiva: Auch der Sektor Lehrlingsausbildung muss in den neuen Branchen der New Economis vermehrt angeboten  werden. Es kann nicht sein, dass per Ende Juni 2000 die Wirtschaft österreichweit  nur 2 Lehrlingen zu IT-ElektronikerInnen, weitere 2 Lehrlinge zu IT-Kaufleuten und immerhin 16 Lehrlinge zu Informatikern ausbildete.

KORSO: Sind IT-Unternehmen überhaupt gewillt, Hochqualifizierte bei auch entsprechender Bezahlung zu  beschäftigen?
Kladiva: Naturgemäß ergibt sich für hoch qualifizierte, ausgebildete IT Spezialisten eine höhere   Bezahlung,  da durch den akuten Fachkräftemangel der so genannte Abwerbungseffekt  für  Spezialisten  zum Tragen kommt (in den meisten Fällen mit mehr  Gehalt  verbunden).  In  den meisten Fällen muss der Angestellte bei einem Wechsel  von  einem  Unternehmen  zu  einem  anderen  Dienstverträge mit enormen Inhalten  hinnehmen,  die  darauf  abzielen,  den  Beschäftigten  ein  mögliches Abspringen  zu  erschweren. Teilweise bezahlen auch die abwerbenden Betriebe die damit  verbundenen  Konventionalstrafen des Angestellten (empfehlenswert für den Angestellten wäre, sich bei jedem Wechsel seinen Dienstvertrag von der GPA Stmk. prüfen zu lassen).

KORSO: Gibt es Statistiken/ Evaluationen bezüglich der Situation der steirischen
IT-Unternehmen bzw. der dort Beschäftigten (z.B. Ausbildungsstand, Zufriedenheit
der MitarbeiterInnen, ...)
Kladiva: Leider gibt es für  die  Steiermark noch keine Untersuchung bzw. Studien oder Auswertungen. Es gibt jedoch eine österreichweite Grundsatzstudie der GPA zum Thema IT und Telekom zukommen lassen.

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