Konzepte für eine Neuordnung des Bundesstaates
ao. Univ.Prof. Dr. Martin Polaschek (Universität Graz)
 
Kein Mensch will die Bundesländer abschaffen. Der österreichische Föderalismus bedarf jedoch einer grundlegenden Reform, die über das bloße Verschieben einiger Kompetenzen und eine graduelle Aufwertung des Bundesrates hinausgeht. Es gibt einige Konzepte, die weiter denken; sie haben jedoch den "Fehler", eingesessene Machtstrukturen aufzubrechen und dadurch außerdem Kosten zu sparen, weshalb die Chance auf Verwirklichung sehr gering ist. Der Vorwurf, die "historisch-politische Individualität" der Länder würde durch solche Reformen verlorengehen, geht ins Leere, zumal das jeweilige Landesbewußtsein der Bürgerinnen und Bürger nur zu einem kleinen Teil durch den politischen Bereich genährt wird.

Auf keinem Gebiet der Verfassung hat es so viele Reformvorschläge gegeben wie bezüglich des Föderalismus - und auf keinem wurden so wenige so halbherzig verwirklicht. Obwohl sich Politik und Wissenschaft seit langem darin einig sind, daß das föderalistische System Österreichs einer grundlegenden Erneuerung bedarf, sind entsprechende Schritte bislang unterblieben. Eine Zeit lang erhöhte der bevorstehende EU-Beitritt die Chancen der Länder, eine Besserstellung zu erreichen; der schließlich 1992 zwischen Bund und Ländern im "Perchtoldsdorfer Abkommen" ausgehandelte Kompromiß wurde allerdings bis heute nicht verwirklicht ...
In den letzten Jahren wurden einige "radikalere" Vorschläge präsentiert, die eine viel weitergehende Reform zum Inhalt haben. Bezeichnender Weise stammen sämtliche aus der Steiermark und entstanden im Umfeld des "Modell Steiermark". Die Bereitschaft der politischen Klasse, sich mit diesen Ideen intensiver auseinanderzusetzen, blieb bis auf wenige Ausnahmen gering, würden sich doch die eingespielten Machtverhältnisse von Grund auf ändern.
 

"Großregionen" und ein "Generallandtag"

Den Anfang machte der steirische Landesrat Gerhard Hirschmann, der im Sommer 1997 die provokante Frage stellte, ob die Länder in ihrer heutigen Form überhaupt noch sinnvoll seien. Obwohl es Hirschmann nicht um eine generelle Abschaffung der Länderebene, sondern um eine sinnvolle Neugestaltung des Bundesstaates ging, nahmen die Medien vor allem die (in dieser Form nicht gemeinte) Zusammenlegung der Länder zu drei Großregionen auf. Dabei hatte auch Hirschmann nicht vor, in einem grenzüberschreitenden Europa der Zukunft neue Grenzbildungen anzustreben. Im Gegenteil: Die Kritik richtete sich gegen die aufgrund des EU-Beitrittes und der allgemeinen gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklung nur mehr wenig praktikable Organisation der Länderebene - nicht, um sie zugunsten einer allmächtigen Zentrale in Wien abzuschaffen, sondern um sie zu stärken.
Der Grazer Universitätsprofessor Hannes Pichler nahm den Gedankengang Hirschmanns auf und schlug die Ersetzung der neun Landesparlamente durch einen gemeinsamen "Generallandtag" vor. In diesem Modell würden die Länder ihre jetzigen Kompetenzen behalten, diese aber gemeinsam ausüben. Anstatt neun Jugendschutzgesetzen würde der Generallandtag also ein "Landesjugendschutzgesetz" für alle Länder (beziehungsweise mit Sonderbestimmungen für einzelne Länder) beschließen. Außerdem kämen ihm die Aufgaben des bisherigen Bundesrates zu; die Tagungen fänden abwechselnd in den Ländern statt. Da dem Generallandtag nur mehr die Stimmführer der jeweils in einem Land vertretenen Parteien mit einem dem Anteil an Wählerstimmen entsprechenden Stimmgewicht angehören würden, könnten massive personelle Einsparungen vorgenommen werden. Neben der Tätigkeit im Generallandtag würden die einzelnen "Landesdelegationen" ihre "landesspezifischen" Angelegenheiten (Wahl des Landeshauptmannes, Kontrollrechte usw) allein beraten. Für diese Aufgaben würden allerdings ehrenamtliche Mandatare genügen, wodurch es zu massiven Einsparungen kommen könnte.
Der Vorteil einer solchen Struktur wäre eine Vereinheitlichung der verschiedenen Landesgesetze und die Möglichkeit, länderübergreifende Planungen vorzunehmen. Die Landesparlamente würden durch diese Machtballung gegenüber den Landesexekutiven wieder etwas an Gewicht gewinnen und den einzelnen Abgeordneten mehr an Einfluß und Prestige zukommen. Durch die "Vorbildwirkung" dieser neuen Landesgesetze würde auch der Wettbewerbsdruck für die Bundesgesetzgebung (also den Nationalrat) steigen, da er in gewisser Konkurrenz zum Parlament der Länder stünde. Weiters könnten die Länder durch ihr geschlossenes Auftreten allgemein mehr Druck gegenüber dem Bund ausüben.
 

Moderne Strukturen für alte Institutionen

Ein weiteres Konzept stammt von Bernd Schilcher, ebenfalls Professor an der Universität Graz. Die Gemeinde- und Bezirksverwaltungsebene wird von ihm wie ein Betrieb angesehen, dem eine Holding (= das Land) und der Konzern (= der Bund) übergeordnet sind. Neben der Bundes- und Landesebene schlägt er die zusätzliche Bildung von drei Regionen vor: Ost (Burgenland, Niederösterreich und Wien), Mitte (Kärnten, Oberösterreich und Steiermark) und West (Salzburg, Tirol und Vorarlberg).
Schilcher teilt die 448 Landtagsabgeordneten auf: Der Bundesrat besteht in diesem Modell aus einem Drittel der Landtagsabgeordneten (151 - die bisherigen 64 Bundesräte fallen weg), die jeweils für zwölf Monate von "ihrem" Land nach Wien gesandt werden. Von den 297 in den Ländern verbliebenen Abgeordneten wird ein halbes Drittel für die drei Regionalparlamente abgestellt. Diesem stünde ein dreiköpfiger Regierungsausschuß vor, dem je ein Mitglied der drei Landesregierungen angehört; die Landesregierungen selbst würden auf je drei Mitglieder verkleinert werden! In den Landtagen blieben dadurch insgesamt 223 Abgeordnete. Diese Kürzungen beträfen auch die Bundesregierung (fünf Mitglieder) und den Nationalrat (151 Abgeordnete). Dem folgten auch Kürzungen auf Beamtenebene.
Der am meisten ins Auge springende Vorteil ist die Kosteneinsparung: Es fallen 11 Mitglieder der Bundesregierung, 32 Nationalratsabgeordnete, 64 Bundesräte und 40 Mitglieder der Landesregierungen weg. Zuzüglich der Einsparung bei begleitendem Personal und Parteienförderungen ergäbe sich eine jährliche Einsparung von rund 550 Millionen Schilling.
Bei einer wie auch immer gearteten Dreiteilung müßte man jedoch bedenken, daß sich dadurch das Problem nur auf eine höhere institutionelle Ebene verschiebt. Es gibt keine historische Begründung dafür, beispielsweise Oberösterreich, Kärnten und Steiermark zu einer Region zu verbinden. Daneben gäbe es genauso gute Gründe, die Steiermark mit dem Burgenland zu verbinden oder Kärnten mit Salzburg. Andererseits wären solche Regionen natürlich politisch wie auch wirtschaftlich stärkere Einheiten gegenüber dem Bund und gegenüber den anderen Regionen in der EU.
 

Ein Vorschlag für eine umfassende Bundesstaatsreform

Aufbauend auf diesen Überlegungen wurde von mir im Rahmen des "Modell Steiermark" im Mai 1999 eine Studie fertiggestellt, die eine umfassende Reform des österreichischen Bundesstaates vorschlägt, ohne den Bestand der Länder an sich anzugreifen. Die Landtage werden generell auf die Hälfte der bisherigen Abgeordnetenzahl gekürzt - allfällige landesinterne "Aufstockungen" sind durch Volksabstimmung und auf Zeit möglich. Die Landtagsabgeordneten (rund 200) bilden gleichzeitig den Generallandtag, der anstelle des Bundesrates an der Bundesgesetzgebung mitwirkt und mehr Rechte, etwa hinsichtlich der Entscheidung über die Kompetenzverteilung, bekommt. Dadurch würde die Gesetzgebung auf beiden Ebenen effizienter und zugleich kostengünstiger. Durch die Gleichstellung von Nationalrat und Generallandtag wäre eine sinnvolle Arbeitsteilung und eine bessere Koordination von Länder- und gesamtstaatlichen Interessen möglich. Das gemeinsame Forum des Generallandtags ermöglichte auch eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Ländern, was die formelle Errichtung von Großregionen hinfällig macht. Die flexible Kooperation würde die Länder innerstaatlich wie auch international stärken.
Erfreulicher Nebeneffekt der Umgestaltung der Gesetzgebung wäre eine dadurch mögliche Reduktion von Abgeordneten- und Regierungssitzen auf Bundes- und Länderebene, was insgesamt eine jährliche Einsparung von rund einer dreiviertel Milliarde Schilling mit sich brächte! Als Ausgleich für die geringere Zahl von Abgeordneten sollten auf Länderebene verstärkt direktdemokratische Elemente eingeführt werden; die Verfassungsautonomie der Länder wäre ebenfalls zu erweitern. Das Landesbewußtsein würde durch eine solche Reform nicht angegriffen. Das Ausmaß, ja überhaupt der Bestand der Landespolitik hat nur einen geringen Einfluß auf die jeweilige Identität der Landesbürgerinnen und -bürger. Da die gesetzgebenden und administrativen Organe des Landes im wesentlichen erhalten blieben, ja zum Teil sogar aufgewertet würden, wäre ein Verlust der Eigenständigkeit der Länder nicht zu befürchten.


Literatur

  • Gerhard Hirschmann, Wer wagt, gewinnt - vielleicht, in: Alfred Payrleitner (Hg), Aufbruch aus der Erstarrung. Neue Wege in die österreichische Politik, Wien 1999, 145-148
  • Johannes W. Pichler, Föderalismus, ja und immer wieder ja, in: Föderalismussymposium "Wozu Länder?". Reformnotwendigkeiten und -möglichkeiten im österreichischen Bundesstaat, Graz 1998, 13-24
  • Martin F. Polaschek, Föderalismus als Wert? Eine Studie zu Reformmöglichkeiten des österreichischen Bundesstaates, erstellt im Auftrag des Modell Steiermark, Graz 1999
  • Bernd Schilcher, Die neue Arbeitsteilung: Bund - Länder - Gemeinden = Konzern - Holding - Betrieb, in: Föderalismussymposium "Wozu Länder?". Reformnotwendigkeiten und -möglichkeiten im österreichischen Bundesstaat, Graz 1998, 27-40
 
Dr. Martin Polaschek ist ao. Univ.-Prof. am Institut für Österreichische Rechtsgeschichte und Europäische Rechtsentwicklung an der Universität Graz.