Gespräch mit ao. Prof. Dr. Georg Kirchsteiger vom Institut für Wirtschaftswissenschaften der Universität Wien

Korso info-server: Sie sind Mitautor einer Studie welche sich der Finanzierung der Pensionen in den OECD-Ländern widmet und die Lage rund um die Pensionen nicht als dramatisch bewertet. Wie sehen Sie die derzeitige Pensionsreformdiskussion in Österreich?

Prof. Kirchsteiger: Unsere Studie stellt auf längerfristige Veränderungen innerhalb der nächsten 50 Jahre ab. Die derzeitige Diskussion ist in erster Linie eine budgetpolitische, getrieben von kurzfristigen Budgetproblemen.

Korso info-server: Warum wird in der öffentlichen Diskussion, aber auch von vielen Experten das österreichische Pensionssystem als reformbedürftig angesehen?

Prof. Kirchsteiger: Wir kommen deshalb zu einer anderen Schlußfolgerung wie viele andere Kollegen, da wir in unserer Studie im Unterschied zu den meisten anderen explizit das Produktivitätswachstum beachtet haben. 

Korso info-server: Kann man auch in Zukunft von einem Produktivitätswachstum ausgehen?

Prof. Kirchsteiger: Zwar wird es in Zukunft weniger Arbeitnehmer für mehr Pensionisten geben, aber aufgrund des technischen Fortschritts und anderer Faktoren ist mit einer Produktivitätssteigerung zu rechnen. Nur ein Krieg, eine internationale Isolation oder ähnliche Ausnahmefälle, wie etwa in den letzten Jahren in Serbien, würden zu einer Minderung führen.
Und das derzeitige Pensionssystem wäre nur dann nicht mehr finanzierbar, wenn die Produktivität drastisch fallen würde. 

Korso info-server: Das heißt, es ist möglich, das staatliche Pensionssystem mittels des derzeitigen Umlageverfahren auch in Zukunft zu finanzieren?

Prof. Kirchsteiger: Ja, es ist möglich, aber das heißt nicht, dass es auch passieren wird.

Korso info-server: Warum wird diese Produktivitätswachstumsrate von anderen nicht beachtet?

Prof. Kirchsteiger: Das ist eine gute Frage. Vielleicht deshalb, da die demographische Veränderung auch eine Erhöhung der Beitragssätze notwendig macht und das ist eben eine sehr unpopuläre Maßnahme. Dennoch werden bei einer Produktivitätssteigerung auch die Bruttolöhne steigen. Die notwendigen Beitragserhöhungen für die Pensionen könnten sogar so gering sein, dass auch noch die Nettolöhne steigen würden. Die Produktivität stieg in den letzten Jahrzehnten im Schnitt jährlich um 2%. Die notwendige jährliche Produktivitätswachstumsrate, zur Finanzierung der Pensionen ohne Bruttolohnverlust , beträgt aber nur zwischen 0,15 und 0,25 %. Diese Pensionsbeitragssteigerungen durchzusetzen, das ist jedoch eine politische Entscheidung.

Korso info-server: In der derzeitigen Pensionsreformdiskussion scheint die Erhöhung des Frühpensionsantrittsalters bereits fix. Was bringt das?

Prof. Kirchsteiger: Wir sind bei unserer Modellrechnung vom status-quo ausgegangen, das heißt: derzeitiges Antrittsalter, gleiche Ersatzzeitenregelungen, etc. Demnach ist das österreichische Pensionssystem finanzierbar. Selbstverständlich kann man das Pensionssystem modifizieren, aber es gibt keine finanz-ökonomische Notwendigkeit dazu. Ich persönlich habe keine negative Einstellung gegenüber einer Anhebung des Frühpensionsantrittsalters. Was sicher eintreten wird, ist, dass ältere Arbeitnehmer in Zukunft mit einer Senkung ihrer Löhne rechnen werden müssen, da der Wert von Erfahrungen von Arbeitnehmern immer unwichtiger wird. 

Korso info-server: Bereits 1997 gab es eine Pensionsreform. Was hat diese gebracht?

Prof. Kirchsteiger: 1997 hat man sich dem Problem gewidmet, die jetzige Diskussion ist eine budgetpolitische. 

Korso info-server: Wie sieht die Situation der Pensionssysteme in anderen EU-Ländern aus?

Prof. Kirchsteiger: Wir haben unsere Studie für alle OECD-Staaten durchgeführt. Demnach halten die derzeitigen Systeme bei Beachtung der Produktivitätsrate auch für Länder wie Italien oder Spanien. 

Korso info-server: Derzeit werden aus öffentlicher Hand 25% an Zuschüssen zum Pensionssystem beigesteuert. Wenn der Staat sich hier zurückziehen würde, dann würde jedoch eine finanzielle Lücke entstehen.

Prof. Kirchsteiger: Ob man dies als Zuschuss oder Steuer ansieht, ist ökonomisch irrelevant. Es geht lediglich um die politische Entscheidung, ob der Staat Subventionen beisteuern möchte oder nicht.

Korso info-server: Wieso wird - trotz Ihrer Ergebnisse - dem Umlageverfahren der Untergang prognostiziert und das Kapitaldeckungsverfahren so propagiert?

Prof. Kirchsteiger: Unwissenschaftlich gesagt handelt es sich dabei um ein Eigeninteresse der Versicherungen. Der Unterschied zum Umlageverfahren ist, dass es mit dem Kapitaldeckungsverfahren unmittelbar kein politisches Problem mehr gibt, sondern dass die Pensionsvorsorge zu einem privaten Problem geworden ist. 
Zudem leidet das Kapitaldeckungsverfahren bei einem Anstieg des Lebensalters unter dem gleichen Problem wie das Umlageverfahren. Bei längerer Lebensdauer bezieht man auch einige Jahre länger eine Pension, wodurch sich auch bei der privaten Vorsorge die Auszahlung der monatlichen Rendite verringern wird. 

Korso info-server: Kritiker des Kapitaldeckungsverfahrens meinen, dass es dadurch zu einer Zweiteilung der Gesellschaft kommen könnte, in jene die es sich leisten können und in den Rest.

Prof. Kirchsteiger: Das ist möglich. Der Vorteil, auch für viele meiner Kollegen, die für möglichst wenig Staat sind, ist, dass die Politik sich unmittelbar aus dieser Thematik heraushält. Aber die Diskussion um die verschiedenen Möglichkeiten von Pensionssystemen ist sicher auch eine ideologische.

Korso info-server: Wie war die Reaktion auf die Veröffentlichung Ihrer Studie von offizieller Seite? 

Prof. Kirchsteiger: Es gab zwar recht viele Anfragen politischer und halbpolitischer Institutionen, welche sich für die Studie Interessierten und welchen sie zugeschickt wurde. Das war's dann aber auch schon.

Korso info-server: Sind Sie zu einer Mitarbeit an der gerade installierten Expertenkommission bezüglich der Pensionsreform eingeladen worden?

Prof. Kirchsteiger: Nein.

Korso info-server: Wir danken für das Gespräch.