03 / 2001
 
Dr. Martin Pöschl, Select-Marketingexperte der Steweag

KORSO: Laut Auskunft der Grazer Stadtwerke haben diese den Bezugsvertrag mit der Steweag gekündigt?
Pöschl: Wir sind zur Zeit mit den Grazer Stadtwerken, zu denen wir ein sehr gutes Verhältnis haben, in sehr positiven Verhandlungen bezüglich einer Fortsetzung des derzeitigen Select-Partnerschaftsvertrages über das Ablaufdatum im Frühjahr 2002 hinaus. In diesem Kontext würde ich derartigen Pressemitteilungen keine allzu große Bedeutung beimessen. Der laufende Vertrag sieht keine vorzeitige Kündigung vor und die Quellen solcher Meldungen sind häufig nicht authentisch. Natürlich dient die öffentliche, unpräzise Bekanntgabe einer Kündigung auch als Verhandlungsunterpfand, ein im freien Markt nicht unüblicher Vorgang.

KORSO: Sind am freien Markt lange Vertragsdauern nicht sittenwidrig?
Der Partnerschaftsvertrag mit den Grazer Stadtwerken gleicht einem Franchisevertrag, für den das Gesetz eine maximale Dauer von 5 Jahren vorsieht. Eine so lange Dauer von Partnerschaftsverträgen entspricht aber nicht unserer Intention, da der Partner durch die großen Vorteile der auftretenden Synergien und nicht durch vertragliche Bindung überzeugt werden soll. Ab einem gewissen Zeitpunkt unfreiwillige Partner wären schlechte Partner.

KORSO: Entstehen den Partnern für die Benutzung der Marke Select Kosten? 
Pöschl: Ja, es muss in einen gemeinsamen Markenpool eingezahlt werden, von dem den Partnern direkt zugute kommende Kommunikationskosten bezahlt werden. Die Steweag investiert aber zusätzlich einen weit höheren Betrag in die allgemeine Markenkommunikation, der allen Partnern zugute kommt. Aber auch weitere Vorteile für unsere Partner liegen auf der Hand: Durch ein gemeinsames Customer Care Center, koordinierte Vertriebsstrukturen, gemeinsames Marketing und Kommunikation in einer Hand entstehen den einzelnen Unternehmen in dem gesamten kundennahen Bereich, dem in Zukunft entscheidende Wichtigkeit zukommen wird, viel geringere Kosten. Zum anderen habe einige Partner weitere Geschäftszweige,  wie z.B. Installationsunternehmen, für die sich Cross-selling-Gelegenheiten und Aktivitäten im Rahmen unserer neuen Dienstleistungen wie dem Home-Service ergeben. Insgesamt sind die Einsparungen und sowie der Gegenwert der Select-Leistungen weit höher als die dem Partner entstehenden Kosten. 

KORSO: Zum anderen sind aber die Verhandlungen mit der Gruppe „Energy Services“ gescheitert?
Pöschl: Nein, auch hier entsteht durch Medienmeldungen ein etwas verzerrtes Bild. Die Verhandlungen sind noch nicht gescheitert und es wird immer noch verhandelt.  Dennoch ist es klar, dass es zu manchen vornehmlich städtischen EVUs ein schwierigeres Verhältnis besteht. Für EVUs, deren Hauptgewinne im Betreiben des Stromnetzes liegen, ist die Notwendigkeit einer Strommarke zur Verteidigung ihrer Energieerlöse kurzfristig nicht offensichtlich. Aufgrund dieser Tatsache aber auch weil eine gemeinsame Marke eine koordinierte Marktpolitik erfordert und somit von manchen Unternehmen als Einschränkung ihrer Freiheit empfunden wird, haben weniger langfristig orientierte Unternehmen wenig Interesse am gemeinsamen Stromverkauf bzw. an der Marke Select. 

KORSO: Damit sich die ganzen Investitionen in die Marke Select lohnen, bedarf es doch einer gewissen Kundenanzahl. Plant man hier, in Zukunft auch außerhalb der Steiermark aktiv zu werden?
Pöschl: Wir konzentrieren uns jetzt erst einmal auf die Steiermark  und es sind hier auch noch einige potenzielle Partner hoch interessiert an einer Übernahme der Strommarke Select und der damit einher gehenden Dienstleistungen und Synergien für EVUs. Sicher soll Select aber noch weiter verbreitet werden. Wir sind hier in der Steiermark insoferne benachteiligt, da wir weit mehr und kleinere Stromversorger haben als in anderen Bundesländern. Dies bedingt, dass die Kundenzahl der Steweag aber auch die im Vergleich bereits verdoppelte Kundenzahl der Marke Select im Hinblick auf die „kritischen Masse“ für ein in Zukunft profitables EVU selbst im österreichischen Vergleich relativ gering ist. In Großbritannien rechnet man heute mit etwa 3 Millionen Kunden als kritische Masse für ein langfristiges Überleben. In Österreich, wo der Konzentrationsprozess noch nicht einmal richtig begonnen hat, haben wir uns ein erstes Wachstumsziel von 4-500.000 Kunden gesetzt.

KORSO: Wie hoch ist die derzeitige Select-Kundenanzahl?
Pöschl Wir sind derzeit bei etwa 300.000 und sind sehr zuversichtlich, durch weitere Select-Partner bereits in den nächsten Monaten an die 350.000-Marke heranzukommen. 

KORSO: Hat man darüber hinaus bereits einige weitere Unternehmen als Partner "im Ärmel"?
Pöschl: Das ist zu viel gesagt, wir führen derzeit allerdings weitere erfolgversprechende Verhandlungen und haben Anlass zu Optimismus.

KORSO: Verschlingt so eine Markeneinführung nicht Unmengen von Geld?
Pöschl: Wir hatten im Jahr 2000 weitaus geringere Kommunikationsausgaben als andere Konkurrenten in Österreich, die keine Strommarke eingeführt haben. Dies ist auf das Führen sehr gezielter Kampagnen aber auch auf das Verhandeln guter Preise zurückzuführen (was natürlich zur Verantwortung gegenüber unseren Partnern gehört). Sobald der Konkurrenzkampf am freien Markt kommt, dann wird es sicher teurer, im Konzert vieler aufzufallen. Darum haben wir den Faktor Zeit vor der Liberalisierung genutzt um günstiger zu einem akzeptablen Bekanntheitsgrad zu kommen. 

KORSO: Ist damit zu rechnen, dass dann auch andere Strommarken in der Steiermark angeboten werden?
Pöschl: Es ist schwer abzuschätzen, ob große deutsche Strommarken sich die Steiermark auswählen werden oder sich ein leichter greifbares Ziel wie Wien mit seiner großen Kundenzahl aussuchen werden.

KORSO: Was ist nun der Vorteil für die Kunden von Select?
Pöschl: Der Vorteil besteht bereits heute in der Auswahl zwischen günstigen, übersichtlichen und innovativeren Preismodellen und zusätzlichen Dienstleistungen sowie besserem Kundenservice (24h, 7Tage/Woche etc.). Hinsichtlich des Preismodells ist zu sagen, dass heute in Österreich allgemein äußerst komplizierte Tarifschemata vorherrschen. Unter den gesetzlichen Bedingung bis zur vollständigen Deregulierung ist die Vereinfachung des Preismodells eine sehr schwierige Aufgabe.

KORSO: Nun meint aber z.B. Dir. Windisch von den Stadtwerken Bruck, dass der Einsatz eines Call-centers bei den schon vorhandenen persönlichen Kundenbeziehungen nicht notwendig wäre.
Pöschl: Wir haben über unseren internationalen Partner sehr gute Zahlen zur Situation bei Schwesterunternehmen in bereits seit Jahren deregulierten Märkten. Dort zeigt sich, dass mit dem bloßen Verkauf von Strom keine großen Gewinne zu machen sind und trotzdem überlegenes Kundenservice geboten werden muss, um zu bestehen. Dies erfordert die billigste und effizienteste Struktur, um ein solches Service zu bieten und eine solche besteht nachweisbar aus einem Customer Care oder Call-Center ausreichender Größe als zentralem Element.  Nur ein solches kann zum Beispiel ein  24-Stunden-Service, wie Select es bereits anbietet, kostengünstig realisieren. Wie will sich ein kleines EVU so etwas leisten? Wie will ein größeres EVU mit derzeitigen dezentralen Strukturen einheitliche Servicequalität im gesamten Versorgungsgebiet gewährleisten? Persönliches Service wird in gewissen Bereichen sicher bleiben, aber das Gros wird sich auf telefonischen Kontakt und Internet-Services verlagern. Eine Zentralisierung ist auch im Bereich der Abrechnung die einzig effiziente Lösung. 

KORSO: Gibt es in anderen Ländern, die bereits einen liberalisierten Strommarkt haben, Erfahrungen bezüglich eines Markenbewußtseins bei Strom?
Pöschl: Die Daten aus den voll liberalisierten Märkten in Großbritannien, Schweden oder Deutschland zeigen dass die Awareness der Wahlmöglichkeiten  steigt. Sehr stark etwa in Schweden oder Großbritannien, wo der Wechsel leicht gemacht wird , aber auch inzwischen in Deutschland wo der Wechsel am Anfang durch die Anbieter stark behindert wurde. Und was hier zählt ist die Kombination aus Preis und  dem Image des Unternehmens bzw. der Marke. Die Bekanntheit der Marke oder des Unternehmens ist ein weiterer wichtiger Faktor. 

KORSO: Wie werden die Auswahlmöglichkeiten für mich als Konsumenten aussehen?
Pöschl: Select bietet ja jetzt schon verschiedene Pakete und diese werden sicher noch erweitert werden. Es wird verschiedene Bindungsdauern geben mit Vorteilen bei längerer Bindung, es wird Pakete mit mehr oder weniger Service geben.
Dann wird es natürlich sicher 10 bis 20 ernst zu nehmende  Konkurrenzversorger geben. Die besser vorbereiteten werden dann in der Lage sein, die versprochenen Leistungen tatsächlich schnell zu erbringen, andere werden es schwierig finden, auch nur die Abrechnung klaglos abzuwickeln.

KORSO: Da hat die Steweag ja zumindest einen gewissen Heimvorteil.
Pöschl: Im Heimmarkt schon, aber dies gilt für jedes eingesessene EVU. Es wird  dennoch nicht einfach und wir arbeiten mit Hochdruck an den Vorbereitungen für die Zeit nach dem 1.10. Es wäre Arroganz zu behaupten, man hätte bereits alles im Griff.

KORSO: Steweag hat mit der Edf einen Mitbesitzer, der auch Atomstrom produziert. Gibt es auch bei der Steweag Atomstrom? 
Pöschl: Die Steweag hat sicher keinen Atomstrom. Die Lieferung von Atomstrom aus Frankreich ist aufgrund der großen Distanz weder physikalisch sinnvoll noch, aufgrund der Durchleitungsgebühren, wirtschaftlich. Die Steweag hat einen Stromabsatz von ca. 6000 GWH. Davon werden 4000 GWH in steirischen Kraftwerken aus Wasserkraft oder kalorisch aus fossilen Brennstoffen erzeugt. Der Rest wird zum größten Teil aus den Donaukraftwerken der Verbundgesellschaft zugekauft.  Wer solche Diskussionen anzieht, dem muss man sagen, dass EVUs, die bei  ausländischen Lieferanten kaufen oder bei österreichischen Konkurrenzunternehmen, die im benachbarten Ausland zukaufen, viel eher deutschen, schweizer oder Ost-Atomstrom beziehen, dessen Herkunft physikalisch  nicht nachweisbar ist. 

KORSO: Wird der Strompreis durch die Marktöffnung sinken?
Pöschl: Er wird sich langfristig am Großhandelsmarkt, der sich an Strombörsen und über große Lieferverträge definiert, orientieren. Dieser ist in Europa durch Überkapazitäten geprägt, was gemäß Angebot und Nachfrage zu weiter sinkenden Preisen führen müsste. Die Preise am Endkonsumentenmarkt sind heute aber noch  durch extreme Differenzen  zwischen liberalisierten und nicht liberalisierten Märkten sowie durch unterschiedliche Regulierung der Netztarife geprägt. Fortschreitende Deregulierung und Vereinheitlichung der Netztarife werden je nach betroffenem Marktsegment zu Preisanpassungen in beiden Richtungen führen. 
In großen Teilen des Massenkundenmarktes wird der Gesamtpreis von Netz und Energie zuerst wohl eher sinken. Nach einer Konsolidierung werden die Preise aber den Gesetzen eines durch physikalische Transportrestriktionen in seiner Freiheit eingeschränkten Marktes folgend steigen und fallen.
Der derzeitige Energiepreis am Massenkundenmarkt in Österreich ist durch die Preisregulierung stark verzerrt und von Bundesland zu Bundesland aber auch innerhalb der Steiermark sehr verschieden. Hier kann man heute noch gar nicht von einem Marktpreis für Energie sprechen. Der Gesamtpreis wird jedoch auch hier abgesehen von einigen Sonderfällen vorerst sicher fallen. 

KORSO: Wir danken für das Gespräch!
 

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