Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Rezensionen November
Sonntag, 14. November 2010
Werner Schandor: Steirisches Wein- und Hügelland | Fritz Keller: „Gelebter Internationalismus. Österreichs Linke und der algerische Widerstand (1958-1963) | Melinda Nadj Abonji: Tauben fliegen auf | Spafudler: Lasst uns froh und munter sein | Aniada a Noar: Liacht

Sachbücher

Zwischen Schilcher, Weltmaschine und verlorenen Schätzen

Werner Schandor: Steirisches Wein- und Hügelland.

Wien: Falter-Verlag 2010. 440 Seiten, EUR 29,90.

Wussten Sie, dass in Bärnbach in Gestalt des Wirtshauses Mad Club quasi eine Dépendance der legendären Lord-Jim-Loge existiert? Dass in Edelsbach nordöstlich von Feldbach, nicht weit vom Standort von Franz Gsellmanns Weltmaschine entfernt, die Modellbauerin Renate Theißl ein Brückenbau-Museum betreibt, das nicht nur Brückenmodelle, sondern auch wirkliche, ausrangierte Brücken beherbergt? Oder dass der Sandsteinbruch in Aflenz an der Sulm seit 2000 Jahren ununterbrochen in Betrieb ist? Nur während des NS-Regimes mussten dort KZ-Häftlinge, von denen viele umkamen, Rüstungsgüter für die Kriegsmaschinerie des Dritten Reiches erzeugen.
In ihrer Mehrzahl sind die vielen Details, die der Grazer Autor und Texter Werner Schandor in seinem Reiseführer über das Steirische Wein- und Hügelland zusammengetragen hat, allerdings von heiterer bis ausnehmend interessanter Natur. Natürlich kommen klassisch touristische Facts nicht zu kurz, die vielen Museen der West-, Süd- und Oststeiermark finden ebenso Erwähnung wie die Unzahl an Buschenschänken, die in diesem Gebiet zur Rast einladen, die Sakralbauten aus unterschiedlichsten Epochen ebenso wie Standorte modernen Kunst- und Architekturschaffens oder Naturschönheiten. Der reich illustrierte Band – die Mehrzahl der Fotos stammt vom Autor selbst – empfiehlt sich nicht nur dem Touristen oder der Touristin: Auch alle, die meinen, die Steiermark ohnehin zu kennen, werden mit Vergnügen darin lesen und – versprochen – viele, sehr viele Details entdecken, von denen sie hier zum ersten Mal erfahren (z.B., wo das „Museum der verstoßenen Schätze“ steht und was sie dort finden können; dazu müssen Sie aber das Buch kaufen, das verraten wir Ihnen in dieser Besprechung nämlich nicht mehr.)

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Mit Charly Blecha in Algerien

Fritz Keller: „Gelebter Internationalismus. Österreichs Linke und der algerische Widerstand (1958-1963).

Wien: Promedia 2010, 315 S., EUR 19,90

Wenn 2010 in Österreich ein Buch über internationale Solidarität erscheint, kann es sich dabei fast nur um ein historisches Werk handeln. Und nein – es geht dabei nicht um die nicaraguanische Revolution, auch nicht um Vietnam oder die kubanische Revolution. Der Wiener Historiker Fritz Keller ist noch ein ein paar Jahre tiefer ins zwanzigste Jahrhundert vorgedrungen und hat die österreichische Solidaritätsbewegung mit dem algerischen Widerstand gegen die Kolonialmacht Frankreich untersucht. Ein Projekt, das hoch an der Zeit war: Viele der damaligen AktivistInnen, die dem Autor authentische Berichte liefern konnten (darüber hinaus hat Keller minutiöses Quellenstudium betrieben), sind schon hoch betagt.
Unter ihnen finden sich prominente Namen wie jener des damaligen sozialistischen Jugendfunktionärs Karl Blecha (der auch ein Vorwort zum Buch beigesteuert hat) oder des späteren Herausgebers der steirischen „Neuen Zeit“, Josef Riedler. Und wenn es auch innerhalb der österreichischen Sozialdemokratie – beeinflusst durch die Tatsache, dass in Frankreich zu dieser Zeit mit Guy Mollet ein „Genosse“ das Amt des Regierungschefs innehatte, der jeden Kompromiss mit der Unabhängigkeitsbewegung ablehnte – auch führende Funktionäre gab, die sich mit rabulistischen Argumenten auf die Seite des Kolonialismus schlugen, so hatten die jungen Antiimperialisten einen wichtigen Befürworter: Bruno Kreisky, der sich als Außenminister für die Anerkennung der Befreiungsfront FLN einsetzte. Gemeinsam mit dem damaligen Außenamts-Mitarbeiter Rudolf Kirchschläger unterstützte er tatkräftig die Rückführung österreichischer Deserteure der Fremdenlegion, die eine wichtige Rolle bei der Repression der algerischen Bevölkerung darstellte und u.a. für grausamste Folterungen verantwortlich war.
Neben dem in der Sozialdemokratie beheimateten Mainstream der Solidaritätsbewegung engagierten sich auch die KPÖ und trotzkistische Gruppierungen für den algerischen Widerstand; letztere mit einer Radikalität, die ihnen Sympathien und einen gewissen Einfluss auf die FLN-Führung einbrachte.
Kreisky jedenfalls hatte mit seinem „linken Pragmatismus“ Weitblick bewiesen: Die guten Kontakte zur aus der FLN hervorgegangenen algerischen Staatsspitze schlugen sich in den späten Siebzigern und frühen Achtzigern in lukrativen Aufträgen für die österreichischen Wirtschaft nieder.

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Belletristik

Die Intensität alltäglicher Gefühle

Melinda Nadj Abonji: Tauben fliegen auf.

Salzburg: Jung und Jung 2010. 315 Seiten, EUR 22,-

Wenn der Vater flucht, tut er das auf Ungarisch, weil es ihm aus dem Herzen kommt. Die Familie lebt in der Schweiz, zugezogen um 1970 aus der jugoslawischen Vojvodina, und baut sich zwischen Hochdeutsch und Schwyzerdütsch eine Existenz bei Zürich auf. Früher war das „Einwanderung“, heute heißt es Migration. Ildiko, die Erzählerin dieses Ich-Romans, ist ein Geschöpf der Autorin, nicht identisch mit ihr, sondern eingefügt zwischen die Autorin und die Ereignisse. Ildiko schildert nicht „die Welt“, sondern eine ganz bestimmte Welt; sie tut dies sehr detailgetreu und in einer Sprache, die bereits von der Kritik zu Recht gelobt worden ist. Melinda Nadj Abonji versteht es, so zu schreiben, dass jede Erinnerung, jedes Gefühl von Ildiko zu uns als original, unvermittelt, authentisch kommt. Wir sehen, was sie schildert, mit den Augen von Ildiko, wir erleben ihre Geschichte und vergessen fast, dass dieses hervorragende Werk eine sehr kunstvolle Komposition ist.
Räumlich in zwei Gegenden angesiedelt, Jugoslawien und Schweiz, zeitlich mehrere Jahrzehnte bis etwa 1993 umfassend (Balkankrieg, im Rückblick der Großmutter Weltkrieg II), ist die Erzählung nicht chronologisch, sondern wie mit den Schauplätzen springt die Autorin auch mit den zeitlichen Abschnitten hin und her. Dadurch baut sich viel Spannung auf, weil die Geschichte der Großfamilie genug Aufregungen bietet. Ildiko und ihre Schwester Nomi wachsen aus der Kindheit heraus, alles verändert sich, obwohl sie das nicht wollen. Diese Schwesternbeziehung, wie auch alle anderen familiären und sonstigen Freundschaften zu schildern, und zwar durch die Sprache, mit der die Figuren sich selber jeweils ihr Profil geben, das gelingt hier großartig. Sprechen ist hier nicht nur Information, sondern erzeugt ein Fluidum, bringt den Lebenssaft zum Fließen.
Wir, als Emigranten, sind Mischwesen, in mehreren Welten zuhause und deshalb tendenziell glücklicher, sagt die jüngere Schwester, sie lebt leichter als Ildiko. – Alexander Kluge, der Autor und Filmemacher, schrieb vor Jahrzehnten in einem Aufsatz über Theodor Fontane, „das Politische“ eines Autors sei nicht in irgendeiner politischen Praxis enthalten, sondern ein Text sei politisch, wenn er das erzählt, was als unpolitisch gilt, aber ein Politikum ist; er nannte das Politische „die Intensität alltäglicher Gefühle“. Genau dies, diese Art von Realismus, zeichnet den Roman aus, der eben den Deutschen Buchpreis 2010 erhalten hat. Seine Tauben, die am Zürcher See oder auch die in der heißen bäuerlichen Gegend der Vojvodina auffliegen, wo der Cousin von Ildiko sie züchtet, sie alle sind Friedenstauben, nach dem Willen der Autorin.
Das schöne Buch - allen ans Herz gelegt, die nie in einem anderen Land gelebt haben – und den Migranten aber auch!

| wh


Musik

Weihnachtliche Klänge – bodenständig und weltoffen


Zwei frühwinterliche Neuerscheinungen der steirischen Folklore-Szene bieten ein breites Spektrum von weihnachtlichen Melodien – und sich damit gleichzeitig als Gaben für die Lieben unter dem Weihnachtsbaum an. Die „Spafudler“ haben aus „lasst uns froh und munter sein“ ein witziges und zugleich erfrischendes Potpourri aus Volksweisen und exotischen Klängen kreiert. Unter dem Motto „Liacht – Svjetlo & Prijatelji“ setzt „Aniada a Noar“ seine Reihe Musik mit Freunden zur Weihnachtszeit fort, diesmal mit Nataša Mirković De Ro als gesangliche Ergänzung.

Spafudler: Lasst uns froh und munter sein

Unsentimental, bodenständig, abwechslungsreich
– so lauten die selbst zugelegten Attribute des Quartetts „Spafudla“. Zum Namen: Ein Spafudla ist ein merkwürdiger Artgenosse, ein liebenswerter Schalk oder einer, der mit dem (Licht)Span fuchtelt. Wenn so ein Spafudla – wie Lucia, Bernadette und Gabriel Froihofer sowie Daniel Fuchsberger – seine Liebe zur traditionellen Musik findet, musikalische Artgenossen entdeckt und sich von volkskulturellen Konventionen nicht einschränken lässt, dann entsteht Musik, voller Leidenschaft, Witz und Originalität, wie auf der neuen Weihnachts-CD „lasst uns froh und munter sein“. Die Spafudla schauen mit einem fröhlichen Blick auf das meistverkitschte Fest des Jahres, Humor und Dramatik haben genau so Platz wie karibische, östliche und heimische Klänge. Neben traditionellen Volksweisen neu interpretiert findet sich viel Originelles auf der CD. Wie einst eine heilige Familie und später Weise in ein fremdes Land gezogen sind, so ziehen hier heimische Weihnachtslieder in die Welt hinaus und treffen auf charaktervolle Eigenkompositionen. Infos:www.spafudler.at


Aniada a Noar: Liacht

A „Liacht“ für Weihnochten.
„Aniada a Noar“ haben sich mit Geige, Gitarre, Ziehharmonika, Maultrommel und etlichen weiteren Instrumenten längst einen Platz ganz oben in der österreichischen Musiklandschaft erspielt. Gemeinsam mit Nataša Mirković De Ro und Matthias Loibner spielt das Quartett, bestehend aus Michael Krusche, Wolgang Moitz, Robert Pfundner und Andreas Safer, Lieder für die Weihnachtszeit aus Kroatien, Bosnien, Serbien, Mazedonien und Österreich. Gut, dass sie zusammengefunden haben, gemeinsam mit Nataša, mit ihrem unerschöpflichen kulturellen Wissen, ihrer großartigen Stimme und ihrer smarten Bühnenpräsenz, sowie mit Matthias mit seiner unermesslichen musikalischen Phantasie und seiner Fertigkeit an der Drehleier. Nuancierte Interpretationen, das Ineinanderklingen von Liedern aus unterschiedlichen Kulturen und überraschende Ausflüge in die Klassik prägen das Programm der Formation. Mit ihrer grenzüberschreitenden Konzertreihe für die Adventzeit „Liacht“ mit hierzulande wenig bekannten Traditionals beweisen sie einmal mehr, in wie vielen Welten sie zuhause sind. Infos: www.aniada.at 
js
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