korso Die andere Steiermark
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der Steiermark
 
12/2005
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  Nazi-Opfer in Graz: Verscharrt und vergessen
Die Schrecken der Nazizeit holen uns im Gedankenjahr 2005 aufs Neue ein: Die Hinweise mehren sich, dass am Gelände der Grazer Belgierkaserne, am Feliferhof in Graz-Wetzelsdorf und im Leechwald noch die verscharrten Leichname von Widerstandskämpfern und Juden liegen, die von der SS in den letzten Kriegstagen ermordet wurden. Der Grazer Historiker Heimo Halbrainer hat sich für KORSO auf die Suche nach den geschichtlichen Zeugnissen begeben.


An der Lokalgeschichte Interessierte wissen: Wenige Tage nach der Befreiung im Jahr 1945 erstattete der ehemalige Polizeibeamte Karl Burg, der am Bergrücken oberhalb des Feliferhofs in Wetzelsdorf wohnte, Anzeige gegen die Urheber eines grauenhaften Verbrechens, das als „das Umlegen am Feliferhof“ bekannt wurde: Bis in die allerletzten Kriegstage hinein hatten hier Hinrichtungen stattgefunden, Ende April 1945 wurden Leichen in Massengräbern verscharrt. Zwischen 18. und 21. Mai 1945 wurden 142 Leichen in einem von Burg bezeichneten Massengrab gefunden, die am Sonntag, dem 27. Mai im Beisein von Tausenden Trauergästen, darunter der gesamten Stadt- und Landesregierung, am Zentralfriedhof beigesetzt wurden.

„Hütet Frieden und Freiheit, denn wir starben für sie“ – Denkmal am Grazer Zentralfriedhof für die Opfer der Feliferhof-Morde

Im Mittelpunkt der zeitgenössischen Berichterstattung um die 142 aufgefundenen Opfer der Nationalsozialisten stand die Ermordung von Dr. Julia Pongracic, die gemeinsam mit anderen Mitgliedern einer sozialistischen Widerstandsgruppe am 3. April 1945 – wie es hieß – von der Gestapo hingerichtet wurde. Doch bald schon geriet dieses Verbrechen in Vergessenheit, zumal die Schuldigen für diese Morde auch nie vor Gericht gestellt wurden. Erst im Jahr 1980 wurde anlässlich des Tags der Menschenrechte auf Initiative des damaligen Majors Manfred Oswald durch die Österreichische Liga für Menschenrechte am Feliferhof eine Gedenktafel für die hier zwischen 1941 und 1945 Hingerichteten angebracht. Die 142 im Mai 1945 Exhumierten sind aber fast alle nicht am Feliferhof, sondern in der heutigen Belgier-Kaserne ermordet worden.

Eine blutige Spur quer durch die Steiermark
Dass die Opfer noch in den letzten Wochen und Tagen des NS-Regimes getötet wurden, hängt mit der militärischen Lage Ende März und Anfang April 1945 zusammen. So wurden durch das Näherrücken der Roten Armee Ende März 1945 jene Lager aufgelöst, in denen seit Herbst 1944 ungarischen Juden zur Zwangsarbeit – sie mussten Schanzanlagen zur Verteidigung errichten – angehalten worden waren. In so genannten „Todesmärschen“ wurden tausende Juden durch die Steiermark nach Mauthausen getrieben. Wer erschöpft war und nicht mehr mitkonnte, wurde von den Begleitmannschaften erschossen. Quer durch die Steiermark zog sich eine blutige Spur, am Eisenerzer Präbichl kam es zu einem Blutbad, als SA-Männer und der lokale Volkssturm wahllos in die Marschierenden hineinschossen und ein Massaker an rund 200 Juden verübten.

Während man über dieses Massaker heute Bescheid weiß – auch da die britischen Militärbehörden 1946 einen großen Kriegsverbrecherprozess führte und zwölf Personen zum Tode verurteilten –, ist die Ermordung von über 100 ungarischen Juden in der Kaserne in Wetzelsdorf nahezu unbekannt und ungesühnt geblieben. Es ist nicht einmal klar, ob alle Leichen 1945 exhumiert worden sind.

Es gab Zeugen
Dabei existieren Zeugenaussagen, die über dieses Verbrechen Auskunft geben. Dem KORSO vorliegenden Akten ist zu entnehmen, dass der in der Kaserne beschäftigte Gärtner Anfang April 1945 beobachtet hat, wie SS-Männer am Dienstag nach Ostern rund 120 Juden in die Kaserne brachten. „Die Juden wurden dann verhört und eingesperrt und noch in derselben Nacht partienweise erschossen. Ich hörte von Mitternacht bis ungefähr drei Uhr früh Schüsse. In der Früh, als ich um sechs Uhr die Wohnung verließ, waren Arrestanten der SS-Kaserne damit beschäftigt, die sechs Bombentrichter zuzuschaufeln, die sich in der SS-Kaserne neben dem Sportplatz der SS-Kaserne befanden. Sämtliches Gepäck der Juden wurde in der Nähe der Halle drei aufgeschlichtet und die SS-Leute nahmen sich vom Gepäck, was sie brauchen konnten. Beim Gepäck sah ich auch zahlreiche jüdische Gebetsbücher herumliegen.“

Ähnliches berichtete auch der in der Kaserne zwangsverpflichtete Holländer Jonny von Reens, der den Transport mit rund 150 Juden angibt, die aus Feldbach kamen. „Die Juden wurden gleich nach der Ankunft auf den Sportplatz getrieben und dort schwer misshandelt. Dann wurden die Juden in Gruppen von je 30 Mann in die Gerichtsabteilung abgeführt. Dort mussten sie alle Kleider, Schuhe, Schmuck und alles, was sie bei sich hatten, abgeben. Sie wurden dann gruppenweise in verschiedene Bombentrichter am Sportplatz abgeführt und in die Trichter hin­eingeschossen. Die Trichter wurden sogleich zugegraben.“


Auch im Leechwald liegen noch die Leichen von Gestapo-Opfern
In diese Bombentrichter wurden auch jene Personen wie Dr. Julia Pongracic hineingeschossen, die von der Gestapo ab dem 2. April 1945 in die Kaserne überstellt wurden. Der Hintergrund für diese zweite Mordaktion in der SS-Kaserne war der Befehl zur Räumung der Haftanstalten vor dem Näherrücken der Roten Armee. Dieser anlässlich einer Konferenz der Reichsverteidigungskommissare erlassene Befehl sah für die Staatspolizei vor, dass die „leichteren“ Fälle sofort auf freien Fuß zu setzen seien, die „schweren“ Fälle aber alle listenmäßig erfasst und dem Leiter der Gestapo, SS-Obersturmbannführer Dr. Josef Stüber, übergeben werden mussten, der diese wiederum Gauleiter Dr. Sigfried Uiberreither vorlegte. Anfang April 1945 erhielt der Gestapobeamte Adolf Herz schließlich den Befehl, zwölf Häftlinge des Landesgerichts sowie die Mitglieder der Gruppe um Rudolf Hübner zu exekutieren.

Herz gab in den ab 1948 gegen ihn geführten gerichtlichen Untersuchungen mit diesen Morden konfrontiert an, er habe sich gegen diesen Befehl gewandt und Stüber vorgeschlagen, die Häftlinge nach Wetzelsdorf zu bringen, wo die SS Exekutionen durchführe. In der Folge habe er an vier Tagen zwischen 2. April und 2. Mai 1945 insgesamt 49 Häftlinge aus dem Polizeigefängnis abholen lassen. Weitere Häftlinge – wie Maximilian Haitzmann oder der Kärntner Josef Logar – wurden am 7. bzw. 18. April aus dem landesgerichtlichen Gefangenenhaus abgeholt.

Die am 18. April abgeholten Häftlinge wurden aber nicht mehr in die SS-Kaserne gebracht, wo der Kasernen-Kommandant, SS-Sturmbannführer Willi Schweitzer, nach seiner Rückkehr von seinem Fronteinsatz weitere Erschießungen verbot und die Exhumierung der in den Bombentrichter verscharrten Leichen anordnete, sondern gemeinsam mit weiteren Häftlingen des Landesgerichts Graz nach Maria Grün transportiert. Der Fahrer dieser Transporte, Franz Feirer, berichtete, dass er mit rund zehn Häftlingen von der Paulustorgasse zum Landesgericht fuhr, dort weitere vier bis sechs Häftlinge zulud und mit diesen Richtung Maria Trost fuhr, wo diese bei den Baracken Am Rehgrund aussteigen und in Begleitung der Gestapobeamten Richtung Hang gehen mussten, wo sie ermordet und verscharrt wurden.

Auch nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes wurde niemand zur Verantwortung gezogen
Die mit diesem Verbrechen konfrontierten Gestapobeamten und die SS-Männer taten nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft das, was sie geschworen hatten – sie schwiegen. Univ.-Prof. Dr. Martin Polaschek vom Institut für Österreichische Rechtsgeschichte, Leiter einer Forschungsgruppe zu den Kriegsverbrecherprozessen nach 1945, meint, dass nie jemand wegen der Verbrechen in der ehemaligen SS-Kaserne zur Verantwortung gezogen sei. So sei etwa der ehemalige Gauleiter der Steiermark, der als Reichsverteidigungskommissar diese Ermordungen angeordnet hatte, im Mai 1947 unter nie geklärten Umständen aus alliierter Haft entkommen. Er lebte bis 1984 unbehelligt in Sindelfingen bei Stuttgart unter dem Namen Friedrich Schönhartinger. Der Kommandant der SS-Kaserne, Willi Schweitzer, wurde am 7. Mai 1948 gemeinsam mit acht weiteren SS-Männern von einem US-amerikanischen Gericht vom Vorwurf der Ermordung von 13 amerikanischen Fliegern in der Wetzelsdorfer Kaserne freigesprochen. Drei Wochen später wurde Schweitzer in einem zweiten Prozess jedoch wegen Anstiftung zur Ermordung von US-Fliegern in Graz-Strassgang zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde schließlich am 22. November 1954 in eine 28-jährige Haftstrafe umgewandelt. Schon am 4. Februar 1955 wurde Schweitzer aber entlassen. Wegen der Morde an den Juden bzw. den politischen Gefangenen wurde gegen ihn nie ermittelt, da er zum fraglichen Zeitpunkt – Anfang April 1945 – nachweislich nicht in Graz war. Die für die Erschießungen der ungarischen Juden und der politischen Häftlinge Verantwortlichen der SS-Kaserne, der zuständige Gerichtsoffizier, SS-Obersturmführer Dr. Rudolf Müller, und SS-Unterscharführer Walter Dittmann wurden nicht ausgeforscht.

1945: Exhumierungen am Feliferhof – 2005: Es ist an der Zeit, nach den damals nicht gefundenen Opfern zu forschen, um sie endlich in Würde zu bestatten

Ebenfalls nie angeklagt wurden die von verschiedenen Zeugen als Mitglieder der Exekutionskommandos genannten SS-Männer. Gegen den für die „Leerung“ der Grazer Gefangenenhäuser und somit für die Ermordung der politischen Häftlinge verantwortlichen Gestapo-Leiter Dr. Josef Stüber, der aus der Gegend von Oppeln stammte und nach 1945 nach Deutschland zurückkehrte, liefen in Österreich ab 1947 Voruntersuchungen, die in den 1960er Jahren eingestellt wurden. Ebenfalls wegen Mordes wurden Voruntersuchungen gegen Adolf Herz und andere von verschiedenen Zeugen im Zusammenhang mit den Ermordungen genannte Gestapobeamte eingeleitet. Alle versicherten, entweder nur als Begleitung mit dem Auto bis nach Wetzelsdorf mitgefahren oder bei dieser Aktion überhaupt nicht beteiligt gewesen zu sein, weswegen sie alle – wenn überhaupt – wegen Misshandlungen von Häftlingen bei der Gestapo zu zeitlich bedingten Freiheitsstrafen verurteilt wurden. So wurde Herz am 10. Juni 1949 zu zehn Jahren Kerker verurteilt, zwei Jahre später aber wieder bedingt aus der Haft entlassen.

Nicht alle wurden gefunden
Bereits unmittelbar nach dem Auffinden der Leichen am Feliferhof tauchten erste Zweifel auf, ob damals tatsächlich alle Opfer der SS und der Gestapo exhumiert worden seien. So meinte etwa der spätere Zentralsekretär der SPÖ Fritz Marsch, dessen Vater gemeinsam mit Hübner und Pongracic am 3. April in die SS-Kaserne gebracht wurde: „Ich habe die Leichen zweimal gesehen und zwar am Feliferhof und am Friedhof. Mein Vater war nicht dabei.“ Ebenfalls nicht unter den 142 Leichen befanden sich Maximilian Haitzmann und Franz Büschinger. Zweifellos nicht gefunden wurden auch die Leichen der im Leechwald am 18. April 1945 Ermordeten. Aber auch in der Kaserne und am Feliferhof dürfte es noch weitere Gräber geben.

Schweitzer hat Mitte April 1945 veranlasst, dass am Feliferhof ein Grab ausgehoben wurde, in das vier zum Tode Verurteilte SS-Männer sowie mehrere Häftlinge der Gestapo die in der Kaserne in den Bombentrichtern Verscharrten umbetteten, ehe auch sie am Feliferhof in das Grab geschossen wurden. Doch ob tatsächlich alle Leichen aus der Kaserne abtransportiert wurden, bezweifelt etwa eine Zeugin, die vom Dachbodenfenster aus die Erschießungen der ungarischen Juden beobachtet hatte. Sie meinte, dass die Briten seinerzeit aufgrund der von den Sowjets erfolgten Umbauten am Exerzierplatz von weiteren Exhumierungen Abstand genommen hätten, da die Bombengräben nur mehr schwer lokalisierbar gewesen wären. Karl Burg, der im Mai 1945 das Massengrab mit den 142 Leichen den Behörden gemeldet hatte, gab später zu Protokoll, dass „außer dem von mir bezeichneten Massengrab, aus welchen die Leichen geborgen wurden, sich im Gelände des Schießplatzes Feliferhof in verschiedenen Bombentrichter noch Menschen begraben befinden. Dies habe ich seinerzeit mehrmals dem ehemaligen Sicherheitsdirektor Alois Rosenwirth persönlich mitgeteilt. Hierauf gab mir Rosenwirth zur Antwort: Im Augenblick sei für derlei Dinge keine Zeit, dass schließlich auch ich es unterlassen habe, mich weiter darum zu kümmern.“ 60 Jahre danach wäre eigentlich Zeit.

Heimo Halbrainer

 

 

Ein Gedenkstein in der Belgierkaserne

 

Am 12. Dezember 2005 wird in der Belgier-Kaserne in Graz-Wetzelsdorf – die heute das Kommando Internationale Einsätze des Österreichischen Bundesheers beherbergt – ein Gedenkstein enthüllt. Er soll an die letzten Opfer des nationalsozialistischen Systems erinnern, die hier im April 1945 ermordet wurden. Dass dies noch im heurigen Gedenkjahr passiert, hängt nicht mit dem Bemühen staatlicher Stellen zusammen, eines der größten NS-Verbrechen in der Steiermark aufzuarbeiten, sondern ist der Privatinitiative des Kärntners Karl Haitzmann zu verdanken.

Haitzmann, der selbst in der Belgier-Kaserne ausgebildet wurde und Oberstleutnant der Reserve ist, hat im Jänner dieses Jahres in einem Brief an Minister Günter Platter und an den Militärkommandanten von Steiermark, Generalmajor Mag. Heinrich Winklmayer, angeregt, eine Tafel zu setzen, auf der folgender Text stehen sollte: „Unmittelbar vor Kriegsende wurden in dieser Kaserne 166 Widerstandskämpfer und Kriegsgefangene durch die SS ermordet. Gedenket ihrer – sie starben für Österreichs Freiheit.“

Einer dieser Ermordeten war Karl Haitzmanns Vater Maximilian. Dieser war gemeinsam mit seiner Frau, Emma, Franz und Franziska Büschinger, Otto und Siegfriede Hauberger von Hubert Moretti, einem Spitzel, der sich in die Widerstandsgruppe in Kapfenberg eingeschlichen hatte, denunziert worden. Am 20. November 1944 wurden Franz Büschinger, Maximilian Haitzmann und Siegfriede Hauberger vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt. Während Hauberger in Wels von den Amerikanern aus der Haft befreit werden konnte, sind Büschinger und Haitzmann mit großer Wahrscheinlichkeit am 7. April 1945 von Gestapobeamten aus dem landesgerichtlichen Gefangenenhaus abgeholt und ermordet worden.

Mit dem Gedenkstein in der Belgier-Kaserne, auf dem nun der von der militärhistorischen Denkmalkommission verfasste Text „Unmittelbar vor Kriegsende wurden in dieser Kaserne Widerstandskämpfer und Kriegsgefangene durch die SS ermordet. Sie starben im Kampf gegen die NS-Gewaltherrschaft. Gleichzeitig gedenken wir der Ungarn, die in Folge des Rassenwahns hier ihr Leben ließen.“ steht, wird die größte nationalsozialistische Mordaktion in Graz wieder ins historische Bewusstsein geholt.