korso Global Corner
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der Steiermark
 
06/2005
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  Jugoslawien: Die ökonomischen Gründe für den Zerfall des Vielvölkerstaates


Der rasante, von Krieg und unglaublichen Grausamkeiten begleitete Zerfall Jugoslawiens hat – unter anderem weil er mitten in einem sich vereinigenden Europa stattfand – ein großes Vakuum an Ratlosigkeit hinterlassen, das zum Teil durch Mythen aufgefüllt wurde. Anlässlich der Erscheinung des Buches „Jugoslawien – politische Ökonomie einer Desintegration“ lud KORSO in Kooperation mit der Zeitschrift Ost-West-Gegeninformationen und der Abteilung für Südosteuropäische Geschichte der Universität Graz dessen Autor, den Wirtschaftshistoriker Rudy Weißenbacher, zu einer Präsentation seines Werkes an die Uni Graz ein.

Vor zahlreich erschienenem, interessiertem Publikum entwickelte Weißenbacher seine Thesen: Das sozialistische Jugoslawien stand als peripheres Land in Abhängigkeit von den ökonomisch entwickelten kapitalistischen Staaten, die Folgen der Verschuldung verschärften diese Abhängigkeit. Nach zunächst fulminanten Wachstumsraten in den fünfziger und sechziger Jahren wurden Mitte der sechziger Jahre angesichts einer drohenden Rezession im Rahmen so genannter „marktsozialistischer“ Reformen wichtige Instrumente staatlicher Wirtschaftspolitik (Ressourcenallokation, Finanzpolitik, Implementierung und Koordination der Wirtschaftspläne) demontiert, und ökonomische Entscheidungen regionalisiert und damit politisiert.

Die Verfassung von 1974 stärkte die Republiken und autonomen Provinzen in einem Ausmaß, dass sie sich wie autonome Volkswirtschaften zu verhalten begannen, auf Bundesebene waren nur mehr Konsensentscheidungen möglich. Die Schere zwischen den reichen nördlichen und den ärmeren südlichen Republiken öffnete sich zusehends, gleichzeitig wuchs die Gesamtverschuldung: Das Wirtschaftswachstum war im Wesentlichen durch das große internationale Kreditangebot der 70er Jahre finanziert. Die Wende kam, als die internationalen Banken anfingen, Kredite nur mehr zu variablen Zinssätzen zu vergeben, die in der Folge rasch anstiegen. Wie alle anderen Schuldnerländer wurde auch Jugoslawien den strengen Stabilisierungsprogrammen des IWF unterworfen. Das Ergebnis: Verlangsamte Produktion, sinkender Lebensstandard der Bevölkerung und eine scharfe Reduktion der allgemeinen Investitionsaktivitäten und der Importe. In dieser Situation – in der andere Schuldnerländer wie Argentinien mit Waffengewalt gegen die eigene Bevölkerung vorgingen – setzten sich die Partikulärinteressen der einzelnen Republiks-Eliten durch, die versuchten, ihre jeweils „eigene“ Bevölkerung zu befrieden.
Weißenbacher: „Der IWF hatte Jugoslawien in der Pflicht, aber die Republiken und Provinzen fühlten sich Jugoslawien nicht mehr verpflichtet.“ Das ging bis zum Steuerboykott und zur Umsetzung einer inflationären Geldpolitik, indem die Banken auf Republikebene ihre Reserven für Lohnzahlungen einsetzten; das gemeinsame monetäre System zerbrach, der Bundeshaushalt 1991 wurde vom jugoslawischen Parlament nicht mehr bewilligt. Im November 1990 warnte die CIA vor dem Zerfall Jugoslawiens innerhalb von 18 Monaten, dieser würde „wahrscheinlich von ethnischer Gewalt und Unruhen begleitet sein, die in einen Bürgerkrieg münden könnten“.

Weißenbacher stellte abschließend klar, dass die ökonomische Erklärung für den Zerfall Jugoslawiens natürlich nicht die einzige sei – vor allem müsse sie im Sinne der politischen Ökonomie begriffen werden, die wirtschaftliche Vorgänge in Verbindung mit politischen Entscheidungen analysiert, die ihnen zugrunde liegen. Einwänden, dass andere periphere Länder ebenso vor der Verschuldungsproblematik gestanden seien, ohne dass sich daraus Bürgerkrieg und Sezession entwickelt hätten, wurde in der Diskussion unter anderem mit dem Hinweis begegnet, dass Versuche, den Zerfall des Vielvölkerstaates auf den angeblichen historischen Hass zwischen seinen Nationalitäten zurückzuführen, sehr viel mehr Fragezeichen übrig ließen – schließlich hatten diese Völker unter besseren ökonomischen Bedingungen Jahrzehnte lang friedlich zusammengelebt.

– cs –


Rudy Weißenbacher: Jugoslawien. Politische Ökonomie einer Desintegration. Wien: Promedia 2005, 496 Seiten, EUR 39,90