korso Global Corner
Das Informationsmagazin 
der Steiermark
 
07/2005
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    „Frankreich stimmte gegen den Neoliberalismus“ Jacques Généreux, Mitglied des Conseil National (Parteirates) des französischen Parti Socialiste, Vertreter des „Non socialiste“ bei der Abstimmung über den Verfassungsentwurf des europäischen Konvents und Professor am renommierten Pariser Institut d’Etudes politiques, referierte am 24. Juni im Spiegelsaal des ÖGB über „Das französische NON – Bedrohung oder Chance für Europa“. Zur Veranstaltung eingeladen hatten das steirische Monatsmagazin KORSO, das Renner-Institut, das ÖGB-Bildungsreferat und die Steirische Friedensplattform.


Sozialistisches „Oui“, sozialistisches „Non“
Während eine knappe Mehrheit der Mitglieder der französischen Sozialdemokratie bei einer parteiinternen Abstimmung für die Annahme des europäischen Verfassungsentwurfes votierte – Généreux: „Sie wollten bloß ihre Parteiführung nicht desavouieren, die unablässig für das Ja getrommelt hatte“ – stimmte die Wählerschaft der Partei beim Referendum am 29. Mai mit deutlicher Mehrheit dagegen. Die Linie des „Oui Socialiste“ (des „sozialistischen Ja“) zur Verfassung wurde aber auch von einigen Mitgliedern der Parteiführung nicht mitgetragen, unter ihnen die Nummer zwei der Partei, der ehemalige Premierminister Laurent Fabius, und der ehemalige Parlamentspräsident Henri Emmanuelli.

Es war keine Diskussion pro oder contra Europa
Die Debatte um den Entwurf habe der Anhängerschaft der Sozialistischen Partei ebenso wie der gesamten Linken klar gemacht, dass die vorgeschlagene Verfassung den sozialen und demokratischen Forderungen, die im SP-Wahlprogramm für die Europawahlen enthalten waren, Hohn spreche. „Während die Anhänger des Nein eine Diskussion um den Text des Verfassungsentwurfes geführt haben, glaubten die Befürworter auf der Linken und der Rechten, es handele sich um eine Diskussion zwischen Pro- und Anti-Europäern, und führten eine apolitische Debatte gegen das Nein.“ Dies habe zu besonderem Unmut geführt, vor allem da die Argumente entsprechend flach gewesen seien – Präsident Chirac hatte erklärt, wer gegen die Verfassung stimme, „begehe eine riesige Dummheit“, und der ehemalige sozialdemokratische Kulturminister Jacques Lang habe für den Fall einer Niederlage des „Ja“ das Verschwinden des Euro prognostiziert … Bei der Abstimmung habe ein linkes, pro-europäisches Nein der Franzosen gesiegt, die „mehr, nämlich ein sozialeres, Europa wollten“ als das neoliberale, das der Verfassungsentwurf vorschlug.

(v.l.) Jacques Généreux, Christian Stenner (KORSO), Johann Schögler (steir. Friedensplattform, Übersetzer)


„Eine sozialistische Regierung würde den Verfassungsvertrag neu verhandeln“
Am Rande der Veranstaltung führte Christian Stenner mit Jacques Généreux das folgende Gespräch.

In der europäischen Öffentlichkeit wird das französische Nein zum Entwurf der EU-Verfassung als Ergebnis einer europafeindlichen Haltung gesehen – in Frankreich selbst scheint man da anderer Meinung zu sein.

Maximal 15% der Nein-Wähler stimmten aus nationalistischen Motiven gegen den Entwurf. Erinnern wir uns: Die Umfragen sahen das Nein schon zu einem Zeitpunkt vorn, bevor Le Pen seine Position klar gemacht hatte. Das französische Nein ist in seiner überwältigenden Mehrheit ein linkes Nein, mehr noch, ein sozialistisches Nein. Die Mehrheit der Wählerschaft des Parti Socialiste stimmte dagegen – nicht aus Europafeindlichkeit, sondern weil sie zu Recht der Ansicht war, dass Europa mit dieser Verfassung einen zu wirtschaftsliberalen Weg einschlägt. 80% der Arbeiter und 70% der Angestellten haben dagegen gestimmt, dafür hingegen das höhere Management und generell die Wohlhabenden. Die Jugendlichen – und das ist besonders bemerkenswert – haben sich in ihrer Mehrheit ebenfalls gegen den Verfassungsvertrag ausgesprochen.

Die französischen Sozialdemokraten waren in der Frage der europäischen Verfassung gespalten – welche Konsequenzen wird die Partei nun ziehen?

Die Konsequenzen für die SP können nur sehr positiv oder aber völlig katastrophal sein – das wird ganz von den Ergebnissen des Parteitags abhängen, der im November stattfindet. Wenn die jetzige Führung die Macht behalten will ohne ihre Linie zu ändern, dann wird die Partei in eine Katastrophe schlittern: Die Franzosen werden bei den Präsidentschaftswahlen keinen sozialistischen Kandidaten wählen, der für das Ja eingetreten ist. Wenn ein solcher Kandidat präsentiert wird, dann droht eine Wiederholung der Situation vom 21. April 2002, als Lionel Jospin nicht einmal in die Stichwahl kam – und eine Regierung Sarkozy mit verschärftem Sozialabbau. Wenn es hingegen dem Nein-Flügel gelingt, seine Linie durchzusetzen, wird die SP zweifellos die Präsidentschaftswahl gewinnen. Das wäre dann auch ein wichtiger Schritt hin zu einer Neuverhandlung des Verfassungsvertrages mit dem Ziel eines sozialeren Europas.

Österreichs SP-Chef Alfred Gusenbauer hat den Vorschlag gemacht, den Verfassungsentwurf nun auf die institutionellen Fragen zu reduzieren.

Das ist ein Teil dessen, was man nun tun muss; ich habe diesen Vorschlag auch in meinem gerade erschienenen Buch über den Hintergrund und die Konsequenzen des französischen Nein gemacht. Über die institutionellen Neuerungen, die Grundrechte und die allgemeinen Regeln zur Entscheidungsfindung im erweiterten Europa herrscht ja nun einigermaßen Einigkeit zwischen den Regierungen. Dieser Teil kann also beibehalten werden; aber: Die Franzosen würden nie akzeptieren, Ja zu einem Vertrag zu sagen, den sie schon einmal abgelehnt haben und aus dem nur ein paar Teile herausgenommen wurden. Man wird also um eine neue Diskussion vor allem der Wirtschaftspolitik und der sozialen Fragen nicht herumkommen.
Eine sozialistische Regierung in Frankreich würde mehr legislative Rechte für das europäische Parlament vorschlagen – bis hin zum Recht, Steuern festzulegen, um dem Steuerdumping ein Ende zu setzen. In den Zielen der EZB müsste die Beschäftigung gleichrangig neben der Währungsstabilität vorkommen, und statt neoliberaler Auswüchse wie der Bolkestein-Richtlinie müsste bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen die Einhaltung der sozial- und arbeitsrechtlichen Bestimmungen des Ziellandes festgelegt werden.

Und schließlich sollte der neue Verfassungsentwurf zumindest eine Erklärung darüber enthalten, dass sich die Regierungen der Problematik des Steuer- und Sozialdumpings innerhalb der Union bewusst sind und sich dagegen engagieren werden.