|  [Ungekürzte 
              Audioversion/Interview "Schulmeister"] „It’s the economy, stupid!“ war der Slogan der Clinton-Gore’schen 
              Wahlkampagne in den USA im Jahr 1992. Warum KORSO diesen etwas rüden 
              Ausspruch wieder aufgreift, hat mit dem nun glücklicherweise ausgestandenen 
              Wahlkampf zu tun. Darin nahmen nämlich die Spitzenkandidaten aller 
              vier Parlamentsparteien auf geradezu erschreckende Weise von jeder 
              etwas tiefer gehenden wirtschaftlichen Analyse Abstand und ergingen 
              sich in Hausmeister-Weisheiten (Schüssel: „Man kann halt nur ausgeben, 
              was man im Taschl hat!“), peinlichen Leerfloskeln (Gusenbauer: „Sparen, 
              wo es sinnvoll ist“), undurchdachter Anpassung an Mainstream-Ideen 
              (Van der Bellen: „Bei den Krankenanstalten gäbe es noch Einsparungspotenzial“) 
              oder starrem Beharren auf’s Nulldefizit (Haupt).  KORSO-Herausgeber Christian Stenner hat mit zwei bekannten Wirtschaftswissenschaftern, 
              die kürzlich in Graz zu Gast waren, ausführliche Gespräche zum Thema 
              geführt. WiFo-Experte Dr. Stephan Schulmeister war auf Einladung 
              des Vereins PASCH in Graz und referierte bei dessen Enquete zum 
              Thema Jugendarbeitslosigkeit; Univ.-Prof. Dr. Elmar Altvater 
              von der FU Berlin hielt ein Impulsreferat beim Symposium „In welcher 
              Gesellschaft wollen wir leben – ökosoziale Marktwirtschaft als Zukunftsmodell“ 
              der Akademie Graz. KORSO im Gespräch mit Mag. Dr. Stephan Schulmeister 
                 
               Herr Dr. Schulmeister, aus Deutschland kommen – Stichwort: 
                Hartz-Kommission – neue Vorschläge zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit: 
                Ausbau des Niedriglohnsektors, Gründung von „Ich-AGs“ für persönliche 
                Dienstleistungen, Verschärfung der Arbeitslosenbestimmungen. Glauben 
                Sie an die Wirksamkeit dieser Maßnahmen?  Daran glaub’ ich nicht nur nicht, sondern es besteht die konkrete 
              Gefahr, dass dadurch die Arbeitslosigkeit sogar steigt. Die Vorschläge 
              der Hartz-Kommission entsprechen dem neoliberalen Zeitgeist, der 
              davon ausgeht, dass dort, wo ein Problem in Erscheinung tritt, auch 
              seine Hauptursachen liegen müssen. Da die Arbeitslosigkeit in Gestalt 
              der Arbeitslosen in Erscheinung tritt, vermutet man in ihrer unzureichenden 
              Qualifikation, in den zu hohen Arbeitskosten und in ihrer unzureichenden 
              Flexibilität die Ursache des Problems.  Das Problem liegt nicht bei den Arbeitslosen.Dieser symptomorientierten Sicht möchte ich einen systemischen Ansatz 
              gegenüberstellen und diesen mit dem bekannten Spiel „Wir fahren 
              nach Jerusalem“ verdeutlichen. Es werden 100 Sessel aufgestellt 
              und 110 Leute laufen immer wieder los und versuchen, möglichst rasch 
              einen Sessel zu ergattern. Dabei werden immer 10 Leute übrig bleiben, 
              und wenn man das Spiel lang genug spielt, werden es genau jene sein, 
              die langsamer sind – übertragen auf den Arbeitsmarkt: die schlechter 
              qualifiziert, vielleicht auch weniger mobil sind. Nur: Wenn ich 
              diese jetzt besser qualifiziere oder ihre Kosten senke, bleiben 
              das nächste Mal halt zehn andere übrig. Die Hauptursache für Arbeitslosigkeit 
              liegt also nicht bei den Arbeit Suchenden, sondern bei der unzureichenden 
              Schaffung von neuen Arbeitsplätzen.
  Arbeitsplätze werden aber in erster Linie von Unternehmern geschaffen, 
              und Unternehmer werden dies tun, wenn sie Vertrauen in die künftige 
              Wirtschaftsentwicklung haben. Dann treten Faktoren mit ins Bild, 
              die üblicherweise bei der Diskussion der Arbeitslosigkeit völlig 
              ausgeblendet werden, wie die Tatsache, dass sich das Gewinnstreben 
              der Unternehmen generell stärker auf die Aktienmärkte verlagert 
              hat, wo nicht real produziert, sondern im Wesentlichen umverteilt 
              wird. Dann rücken aber auch die Politik der Europäischen Zentralbank 
              und die Sparpolitik ins Blickfeld, die alle EU-Länder sehr stark 
              beeinflusst hat.  Die Ich-AG verdrängt reguläre ArbeitsverhältnisseDie Vorschläge der Hartz-Kommission sind Symptomkuren, die die Arbeitslosigkeit 
              sogar erhöhen könnten. Ein Beispiel: Die Förderung der so genannten 
              Ich-AGs, die bei ihrer Tätigkeit als Putzfrauen oder Babysitter 
              geringere Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen müssen, 
              kann reguläre Arbeitsverhältnisse verdrängen. Denn warum soll ein 
              Unternehmen, das für die Reinigung der Büros ein oder zwei Kräfte 
              eingestellt oder eine Reinigungsfirma mit offiziell Angestellten 
              beauftragt hat, die dadurch anfallenden höheren Lohnkosten, also 
              die Sozialkosten, bezahlen, wenn es statt dessen eine billige Ich-AG 
              bekommen kann?
 Erinnerung an die Krise 1929/30Ähnlich kontraproduktiv ist die Forderung der Hartz-Kommission nach 
              einer Senkung der Arbeitslosenunterstützung. Diese Therapie unterstellt, 
              dass die Arbeitslosen, wenn ihre Notlage zunimmt, höheren Druck 
              verspüren werden, Arbeit zu suchen. Das stimmt, aber: Wenn kein 
              Job da ist, besteht der gesamte Effekt auf sozialer Ebene in einer 
              Deklassierung der Betroffenen und auf ökonomischer in einer Dämpfung 
              der Konsumnachfrage. Insofern muss man sich bei aller Vorsicht an 
              die Rezepte in der Frühphase der Weltwirtschaftskrise 1929/30 erinnert 
              fühlen, als es auch hieß, die Staaten müssen sparen, die Löhne müssen 
              gesenkt werden, und wo die Kur selbst dann schlimmer war als die 
              ursprüngliche Krankheit.
  
              Warum unterstützen Unternehmen, die hauptsächlich für den 
                heimischen Markt produzieren, diese Politik, die letztendlich 
                auf eine Schwächung der Kaufkraft ihrer KundInnen hinausläuft?  Die Unternehmen sehen verständlicherweise zunächst einmal jene 
              Größen, die sie selbst beeinflussen können. Und ein Unternehmer 
              kann seine Kosten innerhalb gewisser Grenzen beeinflussen, er kann 
              rationalisieren, er kann die Beschäftigten abbauen, er kann aber 
              nicht die Gesamtnachfrage stimulieren.  Das System Politik ist zu kritisierenEr kann bestenfalls seinen Marktanteil erhöhen, aber dass die globale 
              Nachfrage hinreichend stark wächst, ist eben eine Aufgabe des Systems 
              Politik. Insofern ist dieses viel schärfer zu kritisieren als die 
              einzelnen Unternehmer. Einzelne Segmente der Unternehmerschaft sehen 
              natürlich die Schuld der Politik, nämlich jene, die von sinkenden 
              Staatsaufträgen besonders betroffen sind, vor allem die Bauwirtschaft. 
              Aber generell sind die Unternehmer hin- und hergerissen zwischen 
              ihren ideologischen Interessen und ihren Wirtschaftsinteressen. 
              Und dass diese beiden Interessen einander widersprechen, haben sie 
              noch nicht ganz mitbekommen.
  
               Ein zentraler Punkt in der aktuellen innenpolitischen Diskussion 
                ist die Frage der Pensionsvorsorge. Die Bundesregierung hat erste 
                Schritte zur Ausweitung einer privaten Vorsorge getan, zunächst 
                durch deren steuermäßige Privilegierung.  Das Beispiel der individuellen Altersvorsorge durch das so genannte 
              Kapitaldeckungsverfahren verknüpft zwei Tendenzen, welche die letzten 
              zwanzig Jahre geprägt haben: Auf der einen Seite die Schwächung 
              des Sozialstaates – im konkreten Fall der sozialen Pensionsversicherung 
              – zugunsten einer individuellen Vorsorge. Es entspricht der generellen 
              Stoßrichtung des Neoliberalismus, das individuelle Denken und Streben 
              zu fördern und sozial solidarische Lösungen zu schwächen.  Der Tausch von Papier schafft keine Werte Diese Tendenz wird nun 
              verknüpft mit dem Bestreben, Vermögen auf Finanzmärkten zu vermehren. 
              Man muss nur Monat für Monat einen bestimmten Teil seines Arbeitseinkommens 
              in einen Pensionsfonds einzahlen, dieser wird dann das Vermögen 
              – so wird suggeriert – an den Aktienbörsen vermehren.  Diese Förderung der privaten Altersvorsorge hat in den 80er- und 
              90er-Jahren enorme Popularität erlangt, weil in dieser Phase die 
              Aktienkurse spektakulär gestiegen sind – u.a. eben durch die Schaffung 
              der Pensionsfonds. Immer mehr Menschen glaubten, durch Tausch Geld 
              gegen Geld oder durch Veranlagung auf Börsen könne man reicher werden. 
              Der Einzelne kann das ja in der Tat, wenn er gut spekuliert, nur 
              das System selbst kann natürlich durch Tausch von Papier keineswegs 
              reicher werden.   
              Die Notwendigkeit zur privaten Altersvorsorge wird ja immer 
                wieder mit der angeblichen Unfinanzierbarkeit des Pensionssystems 
                durch die demografischen Entwicklungen begründet. Eine Studie 
                der GPA weist nach, dass die Änderungen der Alterspyramide abgefangen 
                werden könnten, wenn ein Fünftel des Produktivitätszuwachses in 
                die Pensionsvorsorge fließen würde …  Das würde den Anteil der Pensionsversicherungsbeiträge am Bruttoinlandsprodukt 
              steigern, und genau davor warnen die Gegner einer Ausweitung der 
              sozialen Pensionsversicherung. Was daran so schlimm sein soll, ist 
              mir aus folgendem simplen Grund nicht klar: Wenn der Anteil der 
              älteren Menschen, die nicht mehr erwerbstätig sind, deutlich steigt, 
              dann ist es in jedem System, ganz egal, wie die Altersvorsorge organisiert 
              ist, ob individuell oder sozial, nötig, dass dieser höhere Anteil 
              der älteren Menschen auch einen höheren Anteil vom Kuchen bekommt, 
              sonst muss sein Lebensstandard dramatisch sinken. Ob ich nun diesen 
              höheren Anteil am Kuchen dadurch erreiche, dass im sozialen Pensionsversicherungssystem 
              die Aktiven den Älteren eben etwas höhere Beiträge zukommen lassen, 
              oder ob bei der individuellen Altersvorsorge die Aktiven einen höheren 
              Beitrag in den Finanzsektor stecken und der dann an die anspruchsberechtigten 
              Alten ausgezahlt wird, macht systemisch betrachtet keinen Unterschied.  Private Pensionsvorsorge fördert Ungleichheit und UnsicherheitEinen sehr großen Unterschied gibt es aber bei der Verteilung. Im 
              individuellen, kapitalgedeckten Pensionssystem werden die Ansprüche 
              der Pensionisten noch viel ungleicher verteilt sein als die der 
              aktiven Erwerbstätigen. Jemand, der sehr viel verdient, kann nämlich 
              überproportional viel für das Alter ansparen. Die Ungleichheit und 
              die Unsicherheit – die Höhe der Pensionen hängt ja im kapitalgedeckten 
              System u.a. von den Aktienkursen ab – wird im Alter noch größer 
              sein als während der Erwerbstätigkeit.
  
              Von der Kritik an den neoliberalen Politikmaßnahmen zur Einschätzung 
                der Situation in Europa. Kommissionspräsident Prodi hat kürzlich 
                sinngemäß geäußert, der Stabilitätspakt sei ein dummer Pakt. Ist 
                diese Feststellung Vorbote einer Änderung der Wirtschaftspolitik 
                der Union?  Wenn das mächtigste Land der EU, Deutschland, die Maastrichtkriterien 
              nicht mehr erfüllen kann, dann entsteht machtpolitisch ein Druck 
              diese aufzuweichen. Wenn das gleichzeitig auch so großen Ländern 
              wie Italien und Frankreich passieren sollte, dann wird der Druck 
              schon ganz erheblich sein. Das ist zunächst nicht getragen von tieferen 
              Einsichten in die Unsinnigkeit des Stabilitätspaktes, sondern schlicht 
              und einfach von nationalem ökonomischem Interesse.  Die gefährliche Unabhängigkeit der EZBAufgrund der aktuellen Entwicklung beginnt sich eine erste Einsicht 
              durchzusetzen, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt in der jetzigen 
              Konstruktion die Konjunkturschwankungen verschärfen muss. Es gibt 
              aber einen polit-ökonomischen Aspekt des so genannten Stabilitäts- 
              und Wachstumspaktes, der seine Qualifikation durch Herrn Prodi als 
              dumm noch ziemlich zurückhaltend erscheinen lässt. Wenn nämlich 
              für ein Ergebnis – vereinfacht ausgedrückt – zwei Akteure gemeinsam 
              verantwortlich sind, und damit meine ich die Europäische Zentralbank 
              und die Regierungen, aber eine Norm eingeführt wird, die nur einen 
              der Akteure zur Verantwortung zieht, nämlich die Regierungen, und 
              wenn drittens der andere Akteur, der völlig unabhängig ist, ein 
              Interesse daran hat, dass das System Politik in Form der Regierungen, 
              aber auch des Sozialstaates geschwächt wird, dann muss dies in eine 
              Sackgasse führen.
 Die europäische Zentralbank ist natürlich mitverantwortlich für 
              die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Da sie aber gleichzeitig 
              völlig unabhängig ist, kann sie die Zinsen nach ihrem Gutdünken 
              festlegen und so erreichen, dass die europäischen Länder hohe Budgetdefizite 
              aufweisen. Wenn sie nun aber zusätzlich ein Interesse an hohen Budgetdefiziten 
              hat, weil sie die Staaten dazu zwingen will, noch mehr im Sozialbereich 
              zu sparen, dann wird dieses Spiel untragbar. Ich glaube, dass der 
              Grundkonflikt, der schon im EU-Vertrag angelegt ist – Unabhängigkeit 
              der EZB bei gleichzeitigem Abwälzen der Alleinverantwortung für 
              die Staatsverschuldung auf die Regierungen – in Bälde voll aufbrechen 
              wird. 
               Zurück nach Österreich: Welche wirtschaftspolitischen Maßnahmen 
                würden Sie einer neuen österreichischen Bundesregierung empfehlen? 
               Vorweg: ein kleines Land wie Österreich hat nur mehr einen eingeschränkten 
              Handlungsspielraum.  Einheitliche Besteuerung von FinanzkapitalEine künftige österreichische Bundesregierung könnte aber sehr offensiv 
              bei den europäischen Institutionen tätig werden, weil sich ja hier 
              ganz offensichtlich Ratlosigkeit breit macht, ob denn die neoliberalen 
              Konzepte – der Staat muss sparen und die Inflationsbekämpfung ist 
              das Hauptziel – nicht etwa verfehlt sind. Der zweite Punkt – und 
              das wäre natürlich eine Abkehr von der bisherigen Politik – bestünde 
              darin, massiv in die Richtung zu wirken, dass es zu einer EU-weiten 
              einheitlichen Finanzkapital-Besteuerung kommt. Der Zustand, dass 
              ein Staat dem anderen das Wasser abgräbt, indem er das extrem mobile 
              Finanzkapital bei sich beheimatet, darf nicht aufrecht erhalten 
              werden. Leider hat gerade Österreich zusammen mit Luxemburg eine 
              gemeinsame Vorgangsweise verhindert.
 Zusätzliche Beschäftigung im Zwischenbereich zwischen Markt 
              und StaatIn Österreich selbst sollte man weiters das schon seinerzeit von 
              Jacques Delors vor mehr als zehn Jahre ventilierte Projekt der transeuropäischen 
              Netze – den Ausbau der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur in Europa 
              – verstärkt betreiben. Das würde nicht nur die Umweltsituation verbessern, 
              sondern in sehr hohem Maße Arbeitsplätze schaffen und die Transitsituation 
              mildern.
  Zweitens müsste zunächst einmal Bilanz gezogen werden, in welchen 
              Bereichen neue Tätigkeiten besonders notwendig sind. Das gilt z. 
              B. selbstverständlich für den Bereich der sozialen Dienste, der 
              Altersversorgung, notwendig sind weiters Maßnahmen zur Bekämpfung 
              der neuen Armut, zur Verbesserung des Übergangs in den Beruf, gegen 
              Jugendarbeitslosigkeit. In dieser vielleicht doch einige Jahre dauernden 
              krisenhaften Situation müssten verstärkt lokale und regionale Beschäftigungsbündnisse 
              versucht werden, um im Zwischenbereich zwischen Markt und Staat 
              zusätzliche Beschäftigung zu schaffen – durch Förderung von Umweltinitiativen, 
              NGOs, sozialen Netzwerken.  Und schließlich gibt es natürliche eine Reihe von anderen sinnvollen 
              Maßnahmen, die in einer verschärften Arbeitsmarktlage forciert werden 
              müssten, wie z.B. eine breit angelegte Wärmedämmung von Gebäuden. 
              Dadurch könnten sehr viele Arbeitsplätze entstehen, gleichzeitig 
              würden die CO2-Emissionen drastisch gesenkt werden – das wäre ein 
              All-Winner-Projekt.       | 
         
          |   [Ungekürzte 
              Audioversion/Interview "Altvater"]  
              In Ihrem Buch „Die Grenzen der Globalisierung“ betonen Sie, 
                dass die derzeitige Sparpolitik, die ja auch unter dem Vorwand 
                betrieben wird, die Staatskassen zu entlasten, längerfristig die 
                gegenteilige Auswirkung hat …  Das ist richtig, die Devise lautet in fast jedem Land: Sparen, 
              Sparen, Sparen. Aber die Staatsausgaben sind auf der anderen Seite 
              natürlich Einnahmen, nämlich bei denjenigen, die im öffentlichen 
              Dienst beschäftigt sind, oder bei denjenigen, die Transfereinkommen 
              wie Arbeitslosengeld beziehen. Wenn deren Einkommen reduziert werden, 
              geht die Nachfrage zurück. Damit geht auch die Produktion zurück, 
              mit der Produktion die Beschäftigung, mit der Beschäftigung die 
              Einkommen, mit den Einkommen die Steuereinnahmen, und daher entsteht 
              wieder ein erneuter Druck, auf der Ausgabenseite weiter zu sparen. 
              …  
               Letztendlich erzeugt die Stabilitätspolitik zusätzlichen 
                Druck, der die Zinserträge noch mehr steigen lässt …  Ja, die Problematik besteht darin, dass sich die Standorte und 
              die Finanzplätze im globalen Wettbewerb befinden. Dadurch entsteht 
              ein Druck, der die Renditen nach oben treibt. Die Renditen steigen, 
              die Wachstumsraten der Bruttoinlandsprodukte stagnieren oder gehen 
              sogar zurück, sodass sich eine Schere auftut zwischen dem, was monetär 
              an Erträgen verlangt wird, und dem, was real an Zuwächsen produziert 
              wird.   
              Wenn die Zinslast höher liegt entweder als die Profitrate 
                oder, noch schlimmer, als der Produktivitätszuwachs, dann bremst 
                dies die Akkumulation bzw. die reale Produktion …  Einerseits bestehen dann Schwierigkeiten, die Geldvermögen auf 
              Dauer zu bedienen. Die aktuellen Finanzkrisen werden nicht vor den 
              Industrieländern Halt machen. Zum Zweiten bedeuten Renditen, die 
              höher sind als das, was man in der realen Ökonomie verdienen kann, 
              dass alle Welt das Geld in flüchtige Finanzanlagen steckt, und das 
              bedeutet wiederum, dass Finanzierungen längerfristiger Art ausbleiben, 
              die für die Entwicklung in der so genannten dritten Welt oder zur 
              Verbesserung der Infrastruktur oder auch der Produktionsstruktur 
              in den Industrieländern notwendig sind. 
               Die Hochzins-Politik begünstigt Besitzer von Finanzkapital 
                – warum setzen sich gerade diese Gruppen durch, die ja gesellschaftlich 
                minoritär sind? Warum wehren sich kleine Unternehmen nicht gegen 
                diese Politik? Oder gibt es da eine zu starke Interessensidentität, 
                weil auch „der kleine Mann“ schon im Finanzsektor veranlagt?  Ich glaube, das ist einer der Gründe. Es hat sich so etwas wie 
              eine „Finanzkultur“ herausgebildet. Wir erleben tagtäglich in den 
              Fernsehnachrichten, wie die Aktienkurse und die Renditen sich entwickeln, 
              wie der Wechselkurs des Euro und anderer Währungen steht. Alle Welt 
              ist auch bewusstseinsmäßig involviert, und wenn man dann in Rechnung 
              stellt, dass in vielen Ländern, auch in der Bundesrepublik Deutschland, 
              die Altersversorgung zumindest zum Teil auf kapitalgedeckte Rente 
              umgestellt wird, dann bedeutet dies, dass die Altersversorgung der 
              Menschen von der Entwicklung der Kapitalmärkte abhängig ist. Also 
              ist es ihr Interesse, dass diese Kapitalmärkte sich möglichst gut 
              entwickeln, und dass dies unter Umständen auch auf Kosten der Lohneinkommen 
              und der Arbeitsbedingungen geht – denn sie sind ja gleichzeitig 
              auch Arbeitnehmer – wird dann meistens verdrängt oder auch gar nicht 
              erkannt.     |